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Welche Mechanismen bilden den Strompreis?

Thorben Wengert

Das teuerste Kraftwerk bestimmt den Preis für alle?

Weil das jeweils teuerste Kraftwerk den Börsenpreis für alte Anbieter bestimmt, steigen die Kosten für kurzfristig bestellte Elektrizität gerade stark an.

Warum steigt der Strompreis mit dem Gaspreis, denn der Anteil durch Gaskraftwerke erzeugte Strom und beträgt jetzt nur noch ca. 12,5 %.

Logisch wäre, wenn der Ukrainekrieg die alleinige Ursache für den Anstieg der Gaspreise wäre, dass diese Situation (nur) mit einem Achtel (=100:12,5) auf die Preise an der europäischen Energiebörse in Leipzig (EEX) durchschlägt, dem Markt für kurzfristige gehandelten Strommengen.

Kurzfristige gehandelten Strommengen betreffen auch das lokale Stadtwerk, dass ansonsten langfristig fest vereinbarte Preise vereinbart hat, wenn der Stromverbrauch steigt, also MWh dazugekauft werden müssen.

Warum wird daher der „Leitpreis“ vom teuersten Kraftwerk bestimmt, aber nicht durch den Durchschnitt der Preisangebote? Es sind doch genug günstige Anbieter am Markt.

Zunächst einmal ist festzustellen, dass die energieintensiven Industrien vom günstigen Preis der Erneuerbare profitiert haben, aber sich ihrerseits nicht an den Kosten für den Auf- und Ausbau beteiligt haben. Jetzt klagen sie über das hohe Niveau der Energiekosten.

Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, hat man das sogenannte Merit-Order-System eingeführt. Nach diesem System wird die Reihenfolge bestimmt, in der die Kraftwerke zugeschaltet werden. Zunächst dürfen alle Erneuerbaren einspeisen, danach die Kraftwerke mit der Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen.[1]

Wichtig dabei ist Betrachtung der sogenannten Grenzkosten[1]. Als Grenzkosten definiert man in der Betriebswirtschaftslehre und der Mikroökonomik die Kosten, die durch die Produktion einer zusätzlichen Mengeneinheit eines Produktes oder einer Dienstleistung entstehen.

Windräder, Photovoltaik und Atomkraftwerke waren in der Anschaffung relativ teuer, aber die Folgekosten für die „Rohstoffe“ ist sehr gering.

Die Grenzkosten für die Fossil-Kraftwerke sind zurzeit sehr hoch, weil die Preise für die Rohstoffe stark angestiegen sind.

Wenn zurzeit das teuerste Gaskraftwerk den Strompreis an der Börse bestimmt, betrifft es die Produzenten, die ihre Energie dort kurzfristig anbieten. Das hat nichts mit langfristig vereinbarten Lieferverträgen zu tun, wie bei Atomkraftwerken, die z.B. ihre Brennstoffe Jahre im Voraus bestellen müssen. Die Erneuerbaren haben gar keine Rohstoffe, die sie einkaufen müssen.

Im Wochendurchschnitt sind in diesem Jahr von 142 bis auf 645 EUR pro MWh gestiegen, also auf das 4½-fache. [2]

Man könnte nun die Preisbildung von den Gaskraftwerken abkoppeln. Das geht aber nach hinten los, weil neben den Erneuerbaren nur diese flexibel zu- und abgeschaltet werden können. Z.B. benötigen Braunkohlekraftwerke eine Startzeit von 9 bis 15 Stunden.

Das heißt, der Markt ist bei Lastspitzen auf Gaskraftwerke und die Erneuerbaren angewiesen. Wobei die Wind- und Photovoltaikanlagen immer wetterabhängig sind und bei fehlerhaften Wetterprognosen unzuverlässig werden, wenn man mal davon absieht, dass dieses Problem durch ausreichend vorhandene Energiespeicher leicht lösbar ist.

Der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken ist tatsächlich ungeeignet, denn sie können schon wegen ihrer Schwerfälligkeit einen kurzfristigen Strombedarf nicht decken. Ganz abgesehen von den fehlenden Voraussetzungen wie zukünftiger Haftpflichtversicherung, technischer Sicherheit und Brennstäben.

Wenn man das Merit-Order-System reformiert – was dann natürlich auf die Preisgestaltung durchschlägt, gibt es das Risiko, dass Lieferanten für Gas ihr Produkt nicht mehr z.B. nach Deutschland verkaufen, weil sie woanders wesentlich mehr verdienen. Auch Norwegen hält die Preise hoch, obwohl es zu Europa gehören. Politisch ließen sich in Norwegen Preissenkungen gegen den Markt vermutlich nur schwer durchsetzen, weil hohe Preise hohe Gewinne für den norwegischen Staatsfonds bedeuten, welcher quasi den Bürgern aka Wähler gehört.

Eine Möglichkeit wäre, verschiedene Strompreis-Cluster an der Börse zu bilden. Dann ergäbe sich Mischkalkulation – und eine Quersubvention teurer Anlagen. Das führt aber letztlich dazu, dass der Anreiz wegfällt, die Erneuerbaren erheblich auszubauen.

Fazit:

Einen Energie- bzw. Rohstoffmangel gibt es zurzeit (noch) nicht. Energiesparen heißt, die hohen Börsenpreise für den Ankauf zusätzlicher Energiemengen senken. Wenn sich Anbieter in ihrer Kalkulation verrechnen, ist das ihr Problem wie bei Leerverkäufen mit Aktien, die man gar nicht hat.

Was derzeit die Verbrauchenden erleben, kann man wohl als „Energiepreiswucher“ bezeichnen.


[1] https://www.spektrum.de/news/merit-order-prinzip-warum-der-strompreis-nach-oben-schnellt/2051949

[2] https://www.energy-charts.info/charts/price_average/chart.htm?l=de&c=DE&chartColumnSorting=default

[3] https://www.energy-charts.info/charts/price_scatter/chart.htm?l=de&c=DE&enemy+=wind_solar

[4] https://is.gd/L9eCJp

Vergleichszahlen

Brent (z.B. Nordsee) Rohölpreise (Barrel=159 Liter)

ICE, London

01.01.2020 66,50 USD
01.01.2021 51,00 USD
01.01.2022 78,50 USD
25.09.2022 88,50 USD

Vergleich zum WTI (West Texas Intermediate) Rohölpreise:

Börse NYMEX, New York
25.09.2022 78,92 USD

Wechselkurs EUR-USD

01.01.2020 1,11 EUR
01.01.2021 1,13 EUR
01.03.2021 1,23 EUR
01.01.2022 1,14 EUR
25.09.2022 0,99 EUR

Stromerzeugung 21.09.2021

  • Gesamt (Netzlast)           64.281 MWh
  • Residuallast       55.270 MWh
  • Pumpspeicher   9 MWh

Der Begriff Residuallast beschreibt den Teil des Stromverbrauchs in Deutschland, der nach Abzug der Einspeisung von fluktuierenden Erneuerbaren Energien ins Stromnetz übrig ist. Es geht also um den Restbedarf an Strom, der nicht durch Wind- und Solarenergie abgedeckt werden kann.

Preise:

  • Deutschland      190 €/MWh
  • Dänemark 1       190 €/MWh
  • Dänemark 2       190 €/MWh
  • Frankreich          190 €/MWh
  • Luxemburg         190 €/MWh
  • Niederlande       190 €/MWh
  • Österreich          190 €/MWh
  • Polen                   117,1 €/MWh
  • Schweden 4       190 €/MWh
  • Schweiz               188,57 €/MWh
  • Tschechien         190 €/MWh
  • Norwegen 2       126,31 €/MWh
  • Belgien                190 €/MWh

Stromerzeugung 22.09.2022

  • Gesamt (Netzlast)           62.974 MWh
  • Residuallast       54.797 MWh
  • Pumpspeicher   43 MWh

Preise:

  • Deutschland      527,71 €/MWh
  • Dänemark 1       527,71 €/MWh
  • Dänemark 2       527,71 €/MWh
  • Frankreich          515,85 €/MWh
  • Luxemburg         527,71 €/MWh
  • Niederlande       459,85 €/MWh
  • Österreich          522,94 €/MWh
  • Polen                   218,16 €/MWh
  • Schweden 4       527,66 €/MWh
  • Schweiz               512,92 €/MWh
  • Tschechien         526,56 €/MWh
  • Norwegen 2       499,91 €/MWh
  • Belgien                488,17 €/MWh

Quelle: https://www.smard.de/home/

 

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